„Moin. Kennen wir uns nicht?“, hörte Tomke, geblendet von der Sonne, eine Stimme fragen.
Nun sah auch Maarten auf. „Oh. Moin, Herr Hasenkrug. Gar nicht mehr am spielen? Ist kein Spaß bei dieser Affenhitze, oder?“
„Herr Dr. Sieverts und Frau Coordes, jetzt weiß ich’s wieder“, grinste Sebastian Hasenkrug und reichte ihnen die Hand. „Da hat es Sie also nicht wieder zurück nach New York gezogen, wie ich feststelle.“ Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche, die er bei sich trug.
„Nur ab und zu“, erwiderte Maarten, „wenn es der Job erfordert.“ Er legte einen Arm um Tomkes Schultern. „Und meine Frau heißt jetzt auch Sieverts. Sie wollte es altmodisch.“
„Romantisch. Ich wollte es romantisch“, korrigierte ihn Tomke und schob seinen Arm weg. „Und jetzt könntest du mich mal wieder loslassen, ist viel zu warm heute für Körperkontakt. Und Sie, Herr Hasenkrug“, fragte sie an den Polizisten gewandt, „gar nicht auf Mörderfang?“
„Urlaub. Muss ja auch mal sein. Wir haben erst kürzlich einen Fall in Groothusen abgeschlossen. Das reicht dann auch an Leichen für dieses Jahr, wenn Sie mich fragen.“
„Kann ich gut verstehen“, nickte Maarten, und für einen kurzen Augenblick umwölkte sich seine Stirn. „Wir haben mit der Geschichte von damals immer noch zu kämpfen. Die ganzen Toten …“ Er räusperte sich. „Vor Ihrem Job kann ich nur den Hut ziehen. Ich glaube, ich könnte ihn nicht machen. Zu viel Leid und Elend.“
(…)
Tomke ließ ihren Blick über das Watt schweifen, in dem das Wasser bei Ebbe lediglich noch in den Prielen stand, um Tieren, die das Trockenfallen nicht vertrugen, das Überleben zu sichern. Im Sonnenschein funkelte das Watt wie tausend Diamanten, und nicht wenige Menschen waren unter der Anleitung von Wattführern in den weichen Schlick hinausgelaufen, um sich über die Besonderheiten des zum Weltnaturerbe zählenden Nationalparks mit seiner einzigartigen Artenvielfalt aufklären zu lassen. Als UNESCO-Weltnaturerbe zählte das Niedersächsische Wattenmeer zu den letzten intakten Naturlandschaften Europas, die, weitgehend verschont durch menschliche Eingriffe, sich selbst überlassen blieben und einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen einen geschützten Lebensraum boten.
Eine heftige Sturmflut hatte im Frühjahr entlang der ostfriesischen Küste für Aufregung gesorgt, weil sie an den Stränden, die gerade für die nächste Saison instandgesetzt worden waren, große Schäden angerichtet hatte. Auch der herrliche Sandstrand von Dornumersiel, an dem an diesem Sommertag alles so friedlich schien, war von den über ihn hereinbrechenden Wassermassen stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
Chronische Bedenkenträger hatten damals die Behauptung aufgestellt, die Sommersaison würde im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen. Kein Sand – kein Strand – keine Urlauber – keine Saison, so lautete ihre Logik.
Doch hatten sich die Verantwortlichen durch die destruktiven Unkenrufe nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern sich ohne langes Lamentieren an die Arbeit gemacht. Mit Erfolg, wie man an dem harmonischen Bild, das sich dem Gast an diesem idyllischen Ort bot, unschwer erkennen konnte.
„Na, wenn sie den Ball kriegt, dann …“, hörte Tomke ihren Mann in ihre Gedanken hinein sagen. Vermutlich hätte sie diesem Satz keinerlei Beachtung geschenkt, wenn ihm nicht unmittelbar danach ein greller Schrei gefolgt wäre.