Projekt Beschreibung
Der Makel der Hoffnung
Wege in eine neue Zeit, Band 3
Historischer Roman
Worum es geht
Die bewegende Familiensaga geht weiter: persönliche Schicksale in den Goldenen Zwanzigern, geprägt von politischen Spannungen und sozialen Gegensätzen.
Das Porträt einer von Träumen und Zuversicht getragenen, doch letztlich zum Scheitern verurteilten Zeit.
Hiska, Karl und Henrike sehen in Duisburg erleichtert dem Ende der französischen Besatzung entgegen, doch treiben sie, nicht zuletzt wegen Claras Flucht nach Berlin, vermehrt persönliche Sorgen um.
Inmitten des beschwerlichen Alltags der Geschwister aber bahnt sich zart auch die Liebe ihren Weg.
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Taschenbuch
Leseprobe
Ostfriesland, November 1924
Die Augen des kleinen Gerke leuchteten mit den Flammen um die Wette, als er tief Luft holte und die vor Aufregung geröteten Wangen aufblies, um im nächsten Moment mit der ganzen Kraft seines Atems die Kerzen auf der Geburtstagstorte zum Erlöschen zu bringen. Jubelnd riss er die Arme hoch, als es ihm gelang, alle vier Flammen auf einmal auszublasen, und die um den Tisch herumstehenden Kinder klatschten ihm so begeistert Beifall, als hätten sie selbst diese Heldentat vollbracht.
»Bin ich nun ein großer Junge?«, hatte er am Morgen gleich nach dem Aufwachen gefragt, während er sich die noch müden Augen rieb.
»Aber ja«, hatte Enna lachend geantwortet und ihm über seinen blonden Schopf gestrichen, »nun bist du ein richtig, richtig großer Junge, mein Schatz.«
»So groß wie Via?«
»Natürlich nicht, du dummer Kerl«, war ihm seine um ein Jahr ältere Schwester Clivia sofort tadelnd über den Mund gefahren. Mit den Augen rollend hatte sie ihre Arme vor der Brust verschränkt. »Nur damit du es weißt, Gerke: So groß wie ich wirst du sowieso nie sein.« Diese Worte unterstrich sie mit einem so heftigen Nicken, dass ihre langen dunklen Korkenzieherlocken wie Sprungfedern auf und ab wippten.
Diese unabänderliche Tatsache aber schien Gerke in diesem Moment, da er im Mittelpunkt des Geschehens stand, nicht anzufechten. Mit herausgestreckter Zunge machte er sich eifrig daran, die Geschenke auszupacken, die sich neben dem Kuchen auf dem Tisch stapelten. Auch jetzt schienen die anderen Kinder genauso gespannt zu sein wie er, die um zwei Jahre ältere Dania hüpfte gar lachend von einem Bein auf das andere.
»Hach, ist es nicht perfekt?«, wandte sich Enna an ihre Schwester Wiebeke, die vom heimischen Bauernhof in die Adena’sche Villa gekommen war, um gemeinsam mit ihnen zu feiern. Wenigstens für ein, zwei Stunden, so hatte sie verkündet, wolle sie sich von der harten Arbeit auf dem Hof freimachen, um ihren Neffen gebührend hochleben zu lassen.
»Ja«, bestätigte Wiebeke nun, »es ist mehr als perfekt.« Sie sah ihre Schwester nachdenklich an, dann tätschelte sie ihr stumm den Rücken.
Enna verstand, was Wiebeke ihr mit dieser Geste sagen wollte, und nickte. »Du hast recht«, hauchte sie. »Ich danke dem lieben Gott jeden Tag auf Knien, dass er für mich und die Kinder alles zum Guten gewendet hat.« Gedankenverloren, ohne es wirklich wahrzunehmen, tastete sie nach dem Ring, den Karl ihr erst vor wenigen Wochen in Duisburg an den Finger gesteckt hatte.
»Und für alle anderen auch«, murmelte Wiebeke mit einem verstohlenen Blick aus dem Fenster. Durch das Dach der Veranda vor Regen und Sturm geschützt, stand Alexej Sorokin auf der Terrasse und unterhielt sich geschäftig mit dem Verwalter des Anwesens, wobei er mit den Händen mal hierhin, mal dorthin deutete. Er war, nachdem er deutlich an Gewicht zugelegt hatte, ein gut aussehender Mann von ansprechender Statur.
»Alexej ist ein echter Glücksgriff«, stellte Enna nicht zum ersten Mal fest. »Seit er für die Bücher unserer Unternehmen verantwortlich zeichnet, geht es stetig bergauf. Im Handumdrehen hat er mit seiner Kompetenz und seiner Freundlichkeit selbst die größten Skeptiker mundtot gemacht.« Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie ihren Gärtner gebeten hatte, für Alexej und dessen Frau Aglaia eine Arbeit zu finden. Keiner hätte damals ahnen können, dass sich der Russe aufgrund seines ausgeprägten Faibles für Zahlen innerhalb kürzester Zeit zur ebenso visionären wie unverzichtbaren Stütze des Firmenimperiums mausern würde.
Wiebeke lachte auf. »Und das will unter den sturen Ostfriesen schon was heißen.«
Es war erst gut ein Jahr her, dass dieser Mann mit seiner Frau und seinen Kindern Dania und Valentin, den sie alle liebevoll Valja nannten, plötzlich in ihr Leben getreten war. Seine ganze Habe hatte aus den Lumpen bestanden, die er am Leibe trug. Alexej entstammte einem alten Adelsgeschlecht und war als ehemaliger Vertrauter des ermordeten Zaren einer von Millionen Russen gewesen, die die Revolution in Schimpf und Schande außer Landes getrieben hatte.
Nachdem die Kinder jeweils ein großes Stück Torte vertilgt hatten, bat Enna das Dienstmädchen Greetje, mit der siebenköpfigen Rasselbande ins Spielzimmer zu gehen und sie dort zu beschäftigen. Enna hatte gehofft, dass die Kleinen sich wenigstens für kurze Zeit an der frischen Luft würden austoben können, doch war daran gar nicht zu denken. Unablässig trieb ein von der Nordsee kommender böiger und eiskalter Wind Unmengen Regen vor sich her und ließ diesen, einem nassen Lappen gleich, geräuschvoll gegen die Scheiben klatschen.
»Alexej ist ein höchst attraktiver Mann, das muss man schon sagen.« Nach einem schmachtenden Blick auf den Russen, der mit dem Verwalter einem im Park stehenden Pavillon zustrebte, ließ Wiebeke sich seufzend in einen Sessel sinken. »Wie schade nur, dass er schon vergeben ist. Er könnte mir gefallen, das ist mal sicher.«
Enna lachte, wobei dies zumindest zum Teil aus Verlegenheit geschah. Denn auch sie konnte sich der Anziehungskraft des Russen nur schwer entziehen, hätte dies jedoch nie zugegeben, nicht einmal vor sich selbst. Wie sie wusste, stand Wiebeke mit ihrer Schwärmerei keineswegs allein, denn es gab im Unternehmen wohl keine Frau, die in seiner Gegenwart nicht zumindest sanft errötete. Enna vermochte nicht zu sagen, ob Alexej von all der Schwärmerei überhaupt etwas mitbekam. Wohl eher nicht, dachte sie, schien er doch einzig seiner reizenden Frau Aglaia zugetan, die – sehr zum Leidwesen seiner Verehrerinnen – in wenigen Monaten ihr drittes Kind zur Welt bringen würde.
»Was hört man von Karl?«, brachte Wiebeke ihre Schwester auf den Boden der Tatsachen zurück. »Wann gedenkt er, dem Verlobungsring Taten folgen zu lassen?«
»So weit … sind wir noch nicht«, sagte Enna zögerlich, während ihre Finger unwillkürlich zum Ring an ihrer linken Hand wanderten. Sie wich dem prüfenden Blick ihrer jüngeren Schwester aus, indem sie rasch von dem Tee einschenkte, den Greetje bereitgestellt hatte.
»Aber du liebst ihn doch.« Wiebeke formulierte es wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. »Er ist ein patenter Kerl, wie mir scheint. Ich kenne ihn zwar nicht, aber nach allem, was du über ihn erzählt hast …« Sie runzelte die Stirn. »Obwohl ich mich ja schon frage, wie das gehen soll, wenn er in Duisburg lebt und du hier. Oder hast du dich nun doch dazu entschieden, nach Duisburg zu ziehen und …?«
318 Seiten
Deutsch
Moin.
Vielen Dank, dass Sie sich für meine Bücher interessieren.
Ich wünsche gute Unterhaltung!