Projekt Beschreibung

Die Bürde der Freiheit

Wege in eine neue Zeit, Band 1

Historischer Roman

Worum es geht

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war das Schicksal der Geschwister Ulferts aus Ostfriesland eng miteinander verwoben, der Bauernhof ihrer Eltern ihr sicheres Zuhause. Durch den Krieg aber gerät ihr Leben aus den Fugen. Mit dem Beginn der Weimarer Republik müssen sie sich, jeder auf seine Weise, den Herausforderungen einer ihnen noch unbekannten Welt stellen.
Während Janno sein Glück im politisch aufgeheizten Berlin versucht, bleibt Enna in Ostfriesland. Doch zwingen auch sie die Umstände dazu, von ihrem geliebten Leben auf dem Bauernhof Abschied zu nehmen, denn sie trägt das Kind eines Mannes unter dem Herzen, den sie nie hätte lieben dürfen. Hiska hingegen verschlägt es zu Ennas Kriegsbekanntschaft Karl nach Duisburg, der sich der Roten Ruhrarmee anschließt, um den allenthalben wiedererstarkenden Nationalismus zu bekämpfen.
Für lange Zeit gibt es zwischen Enna, Hiska und Janno keinerlei Berührungspunkte mehr, bis sich ihre Wege schließlich unerwartet wieder kreuzen.

Eine bewegende Familiensaga, die das Leben in Deutschland in den ebenso kontrastreichen wie widersprüchlichen Jahren zwischen den Weltkriegen skizziert.

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Leseprobe

Ostfriesland, Anfang Januar 1919

Es war die Stille. Die ganze Zeit schon fragte sich Enna, was ihr dieses ungute Gefühl bereitete. Alle saßen sie um den langen Tisch herum, stumm, mit mürrischen Gesichtern, und löffelten ihren Eintopf aus Kartoffeln, Bohnen und Fleisch. Ein Festmahl, wenn man es mit dem verglich, was sie in den letzten Jahren zu essen bekommen hatte.

 

Die Suppe, mit der man sie im Lazarett verköstigt hatte, war von Tag zu Tag wässriger geworden, die Fettaugen weniger. Auf diesem Eintopf aber schwammen Fettaugen zuhauf. Gestern erst hatten sie hier auf dem Hof geschlachtet. Enna hatte es schon von Weitem gesehen, als sie sich vor wenigen Stunden zu Fuß dem Hof näherte. Ein Schwein, an der Leiter hängend, ausgenommen, das Rückgrat mit dem Hackebeil in zwei Hälften gespalten.

Ihr Vater, Arjen Ulferts, schaute von seiner Schüssel auf, Enna direkt in die Augen. Für einen Moment glaubte sie, dass er endlich etwas sagen würde. Doch er blieb auch diesmal stumm, nahm das Brot und ein Messer zur Hand, schnitt sich eine dicke Scheibe ab und tunkte sie in den Eintopf. Nicht ein Wort hatte er bislang mit ihr gesprochen, nach so langer Zeit. Nicht ein einziges Wort.
Resigniert schob Enna ihre Schüssel zum Topf hin, schaufelte sich eine weitere Portion hinein. Nach den langen Jahren des Verzichts und dem tagelangen Fußmarsch über das eisstarre Land tat es gut, etwas so Deftiges zu essen zu bekommen. Aber diese Stille um sie herum schien ihr nach dem Trubel, dem sie als Sanitätsschwester im Lazarett ausgesetzt gewesen war, nahezu unerträglich. Wie sehr hatte sie sich all die Jahre danach gesehnt, der Hektik, dem Gewimmel und den verzweifelten Schreien der Verwundeten entkommen zu können! Und jetzt? Die Stille, die sie auf dem heimischen Hof empfangen hatte, war keine natürliche, keine gesunde, wie sie es früher einmal gewesen war. Vielmehr entsprang sie dem unsagbaren Leid, das auch ihre Familie nicht verschont hatte. Zwei Brüder im Krieg gefallen, die Mutter am Fieber erkrankt, die geliebten Pferde vom Militär beschlagnahmt.
Von alledem hatte Enna nichts gewusst, als sie sich auf den weiten Weg von Duisburg zurück nach Hause machte. Frohen Mutes war sie gewesen, auch wenn ihr der Abschied aus dem Ruhrgebiet denkbar schwergefallen war. Die Freude, ihre Lieben nach so langer Zeit wiederzusehen, hatte ihren Kummer gedämpft. Das Zuhause jedoch, das sie vor dem Krieg gekannt hatte, schien unwiderruflich verloren. Da war kein Lachen mehr und kein Singen, und selbst das Brüllen der Kühe, das Grunzen der Schweine und das Gackern der Hühner erschien ihr verhaltener als in früheren Tagen.
Die Mahlzeit wurde schweigend beendet. Die Männer – ihr Vater, ihr Bruder Ubbo sowie Landarbeiter Jesko – standen vom Tisch auf, von Fröhlichkeit oder gar Elan keine Spur. Mit hängenden Schultern schlurften sie hinaus, gesättigt und bereit, ihr Tagwerk zu vollenden. Zu dieser Jahreszeit wurde es früh dunkel, bis dahin gab es noch viel zu tun.
»Vater ist nicht mehr er selbst«, berichtete Hiska, als sie die Männer vor dem Fenster über den Hof stapfen sah. Sie räumte das Geschirr zusammen und trug es zum Spülstein. Enna betrachtete ihre jüngere Schwester. Die Last der Jahre hatte Hiska reifen lassen, sie war nun kein Kind mehr, wirkte viel zu alt und ausgelaugt für ihre sechzehn Jahre. »Zuerst die Nachricht, dass Feiko nicht mehr heimkehren wird, und nur wenige Wochen später das gleiche mit Johannes. Dann wurde auch noch Mutter so krank. Seither hat Vater kaum noch ein Wort gesprochen. Es ist, als hätte er alle Lust am Leben verloren.«
»Dabei war doch er es, der bei Ausbruch des Krieges gar nicht laut genug jubeln konnte«, erinnerte sich Enna. »Ihr zieht in die Schlacht für Kaiser, Ruhm und Vaterland. Das genau waren seine Worte. Und dass es für jeden Soldaten eine Ehre sein müsse, auf dem Schlachtfeld den Heldentod zu sterben.«
»Nun, davon ist er immer noch überzeugt«, erwiderte Hiska, »auch wenn er um seine Söhne trauert. Er hält dem Kaiser nach wie vor die Treue. Und auch die Rechten kommen ihm gelegen, weil sie, so sagt er, für Zucht und Ordnung sorgen werden. Die Sozialdemokraten, die gerade so in Mode sind, will er alle im Zuchthaus sehen. Was er den Kommunisten an den Hals wünscht, mag ich gar nicht aussprechen.«
Enna seufzte. Sie konnte diese politischen Reden nicht mehr hören. Wohin die das Land geführt hatten, sah man ja jetzt. Not und Elend überall. Nichts als Not und Elend.
»Was ist mit Janno?«, erkundigte sie sich vorsichtig nach ihrem zweitältesten Bruder, der ebenfalls im Krieg gewesen war. »Niemand von euch hat mir bislang auf diese Frage eine Antwort gegeben. Warum ist er nicht mit den anderen zum Essen erschienen? Ist er noch nicht zurück aus dem Krieg?«
Hiska schaute unsicher zur Tür, als fürchtete sie, dass jemand sie belauschen könnte. »Na ja, nun, wo Vater nicht mehr in der Küche ist … Er will nicht, dass von Janno gesprochen wird, weißt du?«
»Aber warum denn nur? Was hat Janno denn getan? Er ist doch nicht auch gefallen?«
»Nein, er ist nicht gefallen«, versicherte Hiska. »Das ist es nicht. Er kam vor drei Wochen zurück, ganz fürchterlich abgemagert, aber ansonsten gesund und wohlauf.«
»Das ist gut.« Enna atmete erleichtert auf. Wenigstens war einer ihrer Brüder unversehrt geblieben. Den Ältesten, Ubbo, hatten sie Gott sei Dank gar nicht erst eingezogen, da er auf dem Hof unabkömmlich war. Leider hatte dieses Argument für die anderen Söhne von Bauer Ulferts nicht gegolten. Vater hatte, so hieß es, alles versucht, auch sie hierzubehalten. Weniger, weil er auf dem Schlachtfeld der Ehre, wie er zu sagen pflegte, um ihr Leben fürchtete, als dass er auf ihre Arbeitskraft angewiesen war. Vergebens. Johannes, der jüngste der Brüder, war noch wenige Wochen vor Kriegsende eingezogen worden und nur wenige Tage später in Frankreich gefallen. Mit gerade einmal achtzehn Jahren. Ein junges Leben, den Kanonen zum Fraß vorgeworfen. Von ihnen hatte Enna viele im Lazarett versorgt, und so mancher von ihnen hatte sie an Johannes erinnert. Sie hatte so sehr gehofft, ihn wieder in die Arme schließen zu können. Vergebens. »Aber wo ist Janno denn jetzt?«
»In Berlin, nehme ich an. Zumindest wollte er da hin.« Hiska ging nach draußen und steuerte auf die Wäsche zu, die an der Leine im Wind flatterte.

  • 303 Seiten
  • Deutsch

Moin.

Vielen Dank, dass Sie sich für meine Bücher interessieren.

Ich wünsche gute Unterhaltung!

Die Zeit zwischen den Weltkriegen wird mit den Menschen, ihren Schicksalen und Nöten gefühlvoll nachempfunden. Die politischen Unruhen in der jungen Weimarer Republik werden aus Sicht der armen Leute verständlich dargestellt. Die menschlichen Stärken und Schwächen der Armen wie der Reichen verweben sich und es entsteht ejn Geflecht aus Hoffnung und Bangen, Melancholie und Freude, Respekt und Anerkennung, aber auch Resignation.
Sehr spannend und unterhaltsam geschrieben. Kaufempfehlung!

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